Saturday, February 05, 2005

Mutmassungen über den Mut

Wer es wagt, ein derart in Ehren stehendes Wort wie den Mut gegen den Strich zu bürsten, der kriegt Ärger. Susan Sontag hat das erlebt, die berühmte amerikanische Essayistin: Sie brachte die Zivilcourage auf, gegen jene Politiker und Jorunalisten zu polemisieren, die die Zerstörung des World Trade Center am 11. September 2001 in New York als "feigen Angriff" auf die freie Welt bezeichnet hatten. Wer bereit sei zu sterben, um andere zu töten, schrieb sie, verdiene es, mutig genannt zu werden; feige seien eher jene amerikanischen Piloten, die aus unerreichbarer Höhe töteten, mit minimalem Risiko. Da war die Hölle los in Amerika.
Sprachlich wie psychologisch gesehen, ist der Mut eben ein unheimlicher Geselle: in vielen Bedeutungen schillernd, einst ganz ohne Bezug zur Tapferkeit und noch heute keineswegs auf diese eingeschränkt; wo aber doch, dann mit der Angst erstaunlich eng verwandt.
Ursprünglich hiess "Mut" Laune, Stimmung, Gemütsverfassung: "Iss, trink und habe guten Mut!"(Lukas 12, 19) - freue dich, das ist in der Tat gemeint, et te réjouis in der französischen Bibelversion, in der englischen and be merry; und guten Mutes können wir noch heute sein. Umgekehrt: "Ein betrübter Mut vertrocknet das Gebein" (Salomo 17, 22), "verdrossnen Mutes" liest man bei Goethe.
Sodann bedeutet Mut von alters her den Zorn, die Erbitterung: "Ich will meinen Mut an ihnen kühlen!"(2.Mose 15, 9). Und noch viel mehr: Wem wir "nur Mut!" zurufen, dem wünschen wir nicht Waghalsigkeit, sondern Zuversicht. Der Mutwille ist nicht der Vorsatz, tapfer zu sein, sondern die kalkulierte Boshaftigkeit; der Hochmut nicht ein hohes Mass an Bravour, sondern die Überheblichkeit; der Übermut keine Tollkühnheit, sondern der fröhliche Leichtsinn; der Unmut nicht das Gegenteil von Mut, ein Synonym für Angst also, sondern der Ärger, der Verdruss. ("Doch an dem Herzen nagte mir / der Unmut und die Streitbegier", reimte Schiller in seiner schaurigen Ballade vom Kampf mit dem Drachen.) Gleichmut schliesslich heisst ein leidenschaftsloser Gemütszustand, also fast gar nichts mehr.
Aus dieser wabernden Fülle der Bedeutung hat sich erst im 19. Jahrhundert der Mut im Sinne von Furchtlosigkeit, Schneid nach vorn geschoben. Wenn wir uns indessen auf diesen heute überwiegenden Wortsinn beschränken, dann stolpern wir aus dem Irrgarten der Sprache ohne Umweg in den der Psychologie. Und da zeigt sich, dass "Mut" nicht so sehr ein Sammelwort für noble Motive und Charaktereigenschaften ist (ja, die laufen manchmal mit) - sondern eher der Deckel auf einem Topf, in dem vor allem die Angst rumort.
Angst ist ja an sich nichts Negatives. Vor übermächtigen Gefahren davonzulaufen, kann lebensrettend sein, "nur Narren fürchten nichts", sagt Heine, und Mut im heute klassischen Sinn wird ohnehin nicht als das Fehlen von Angst definiert, sondern als die Fähigkeit, eine durchaus vorhandene Angst zu überwinden. Wie schaffen wir das? Meist in der Form, dass wir die verpönte Art der Angst durch eine unauffällige, sozial halbwegs gebilligte Spielart vertreiben.
Wenn Zehnjährigen eine heikle Turn- oder Kletterübung zugemutet wird, so fürchten sie für den Fall, dass sie sie verweigern, mit Recht, als Feigling, als Memme verspottet zu werden. Die Angst vor dem Hohngelächter der Mitschüler, die Hoffnung auf ihren Beifall ist ein Angrieb von ungeheuerer Macht. Turnlehrer, Pfadfinder, Rekrutenausbilder, Frontoffiziere nutzen sie. "Mut", sagt Schopenhauer, "ist eine blosse Unteroffizierstugend, in welcher uns sogar Tiere übertreffen, weshalb man sagt, 'Mutig wie ein Löwe' ." (was wiederum nicht stimmt, denn alle Raubtiere sind schlau genug, nur unterlegene Opfer anzugreifen.)
Mit der Angst vor der Schande und ihrem Gegenpol, der Gier nach Orden und Ehrungen, schliesslich mit der Angst vor Strafe konnte man Soldaten dazu bringen, gegen all ihre kreatürlichen Instinkte dem feindlichen Bunker entgegenzustürmen. Die Einsicht ist uralt, nur ziemlich selten das Thema von Leitartikel und Festansprachen.
"Ruhmessucht und Angst vor Schmach" spornten die Soldaten zur Tapferkeit an, schrieb Cäsar, und Friedrich der Grosse: "Der gemeine Soldat soll seine Offiziers mehr fürchten als alle Gefahren." Von einem Kriegsgericht wegen "Feigheit vor dem Feind" verurteilt zu werden, war die Angst, die in den Weltkriegen den Soldaten aller Armeen im Nacken sass: von den Freunden verachtet, von der Gesellschaft geächtez, mit Haft oder Erschiessung bedroht - das war der Wall aus Angst, den der Militärapparat hinter den Soldaten errichtete; so hoch, dass der mörderische Sturmangriff sich gleichsam in eine Flucht nach vorn verwandelte.
"Mutig" nennen wir einen Menschen also dann, wenn er derjenigen Angst nachgibt, die seine Umwelt als Mut einzustufen liebt. Es gibt schwerlich eine menschliche Eigenschaft, die danach riefe, mit dem Wort "Mut" belegt zu werden; mit dem Begriff "Angst" werden die Antriebe des Mutigen meist besser beschreiben. "Man hat seine eigene Wäsche, man wäscht sie mitunter", sagt Bert Brecht. "Man hat nicht seine eigenen Wörter, und man wäscht sie nie."

(von: Wolf Schneider; NZZ Folio, August 2004)

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