Monday, February 28, 2005

Eisfischen am Oeschinensee



Alaska liegt so nah: Eisfischen im Berner Oberland

Wir glauben zu wissen, was kalt ist. Bis wir an jenem letzten Tag im Januar an den Oeschinensee fuhren. Es ist kurz nach halb zehn Uhr morgens, als wir uns in Decken hüllen, den Sessellift besteigen und mit dessen Hilfe die 482 Höhenmeter von Kandersteg nach Oeschinen erklimmen. Bitterkalt schlägt uns der Wind ins Gesicht, als wir aus der Bergstation treten, und wir beeilen uns, den zwanzigminütigen Fussmarsch zum See in Angriff zu nehmen. Unser Weg liegt noch im Schatten, die Bügel des Skilifts, dessen Trassee wir queren, sind leer. Tief verschneit stehen die Tannen, der Schnee knirscht unter unseren Füssen, die Luft ist klirrend kalt.


Inmitten stattlicher Berge

Dann liegt er uns plötzlich zu Füssen, still, zugefroren und mit Schnee bedeckt, der Oeschinensee. Dieser Bergsee, der vor vielen tausend Jahren durch einen Bergsturz entstanden ist und dessen unterirdischen Abflüsse heute für die Strom- und Trinkwasserversorgung Kanderstegs genutzt werden. Der Oeschinensee, in einer Senke gelegen, umgeben von stattlichen Bergen wie der Wilden Frau, dem Blüemlisalphorn, Oeschinenhorn, Fründenhorn und Doldenhorn.
Nun gehen wir auf Eis, einer Fläche von anderhalb Quadratkilometern, fünfzig bis sechzig Zentimeter dick. Hier und dort die Spur eines Hasens, eines Fuchses, eines Menschen. Mancherorts ein Kreis, in den Schnee gewischt, die Zeichen der Eisfischer. Unter dem Eis ist das Wasser bis zu fünfzig Meter tief, darin Fische: Regenbogenforellen, Seesaiblinge und kanadische Seeforellen. 12 000 Stück dieser Edelfische wurden im letzten Jahr ausgesetzt, mit Autos in die Bergwelt transportiert und in den See entlassen, eine Aufgabe der Fischzuchtanlage Kandersteg.


Sechs Edelfische und kein Stück mehr

Da sitzt er, der erste Eisfischer, die Fellmütze tief ins Gesicht gezogen, die Angel im Eisloch. Jetzt greift er zu einem Küchensieb, rührt damit im Eisloch, 15 cm Durchmesser, schöpft Eisklumpfen ab. "Heute ist es sehr kalt" sagt Roger Gerber, "wohl gegen minus 18 Grad." Eine gute Stunde sei er schon hier, angebissen habe noch nichts. Sechs Fische hat Gerber zugut, denn eine Vorschrift verlangt, "den Fischfang nach Behändigen des sechsten Edelfisches einzustellen". Das wird auch ab und zu kontrolliert. Dann werden die Fischer von Aufsehern geheissen, ihre Beute offenzulegen.
Dohlen kreisen über schroffen Felswänden, schreien in den blauen Winterhimmel. "Dort im hinteren Teil des Sees, heisst es vorsichtig sein", meint Roger Gerber, "dort gehen manchmal Lawinen nieder." Deshalb versucht er sein Glück lieber im vorderen Teil. Doch heute lässt das Glück auf sich warten. Die Fische sind offensichtlich anderswo. Roger Gerber, des Wartens müde, nimmt den Eisbohrer, stapft der Seemitte zu, schlägt den Bohrer ins Eis und beginnt an der grossen Kurbel zu drehen. Eisstaub wirbelt durch die Luft, es kracht und ächzt - eine harte Schicht, eine weichere, wieder eine harte. Gerber wischt sich den Schweiss von der Stirn: "Das ist die beste Methode, sich aufzuwärmen." Er klaubt Köder aus dem Rucksack, kleine, halbierte Fische aus dem Bielersee, den Fang eines anderen Tages, und befestigt sie an der Angel. Neues Loch, neues Glück. "Geduld ist gefragt", murmelt er, "aber diese Einsamkeit, dieses Einssein mit der Natur, ist ja schliesslich das Schöne am Fischen."


Mehr Fischer als Skifahrer

Nur an Wochenenden findet man sie nicht, die Einsamkeit. Da kommt es vor, dass der Bergsee von fünfzig bis sechzig Fischern bevölkert sei, "da hat es hier oben fast mehr Fischer als Skifahrer". Doch heute ist Montag, und nur eine Handvoll Fischer hat den Weg in die Eiszeit gefunden. Dazu zählt Kurt Huber. Er war einer der Ersten, die hier im Eis fischten, vor zehn Jahren schon, als diese Tätigkeit noch kaum bekannt war. Heute ist er pensioniert und fährt ein- bis zweimal die Woche zum Oeschinensee. Schon als Bub habe er gefischt, damals noch im Dorfbach, mit blossen Händen. Man habe jeweils gewettet, wer zuerst eine Forelle erwische. Natürlich habe man die Beute wieder freigelassen, keiner hätte den elterlichen Zorn auf sich ziehen wollen.
Doch jetzt hat einer angebissen, einer, den er nicht freilassen muss. Eine kandadische Seeforelle, ein gutes Stück über dem Schonmass von 22 Zentimetern. Kurt Huber hebt die Angel an, zieht vorsichtig an der Schnur. Die Forelle windet sich, bäumt ihren glänzenden Körper auf, hofft, dem drohenden Unheil zu entkommen. Doch das Küchensieb setzt dem Hoffen ein jähes Ende.


Futter für die Dohlen

Später, als neben Hubers Eisloch noch eine weitere kanadische Seeforelle liegt, klappt der Fischer das Sackmesser auf, greift nach dem einen Fisch, sticht in dessen Unterleib und zieht die Klinge bis zum Kopf. Dann legt er ihn aufs Eis, trennt ihm den Kopf ab, wirft ihn weg, Futter für die Dohlen. Anschliessend klaubt er das Gedärme heraus, prüft, ob der Magen unversehrt blieb, nickt, erleichtert fast, denn nur so wird er damit die nächsten Fische anlocken können. Dann nimmt er den Fang, wickelt ihn in Stoff, dann in Plastic und steckt ihn in den Rucksack.
Jetzt klettern ein paar Sonnenstrahlen über den Berggrat, lassen klamme Finger hoffen. Eine gute Stunde vermögen sie einen Teil des Sees zu bescheinen, etwas Wärme in die Welt des Eises zu senden, dann verschwinden sie wieder. So schnell wie sie gekommen sind. Kurt Huber schenkt sich einen Becher Tee ein, packt ein Sandwich aus, Lachs, selbst gefangen in Alaska.
Auch neben Gerbers Eisloch liegen nun drei kanadische Seeforellen, tiefgefroren. Er wickelt sie in Plastic und verstaut sie im Rucksack. Ausnehmen, putzen und filetieren wird er sie zu Haus. Die Angel passt auch in den Rucksack, das Gepäck muss handlich sein. Denn abends, wenn die Dämmerung nicht mehr weit ist und sich die Füchse schon bald holen, was die Fischer liegen liessen, packen die Männer ihre Sachen, wärmen sich im Berggasthaus auf, setzen sich auf den Schlitten und gleiten dem Tal zu.


Eisfischer aus nah und fern

Das eisige Vergnügen findet inzwischen auch bei Gästen aus dem Ausland Anklang: bei den beiden Deutschen zum Beispiel, die frühmorgens aus der Nähe von Freiburg im Breisgau angereist kamen und sich nun in Ufernähe niedergelassen haben. Einst hätten sie in einer deutschen Anglerzeitung vom Eisfischen an diesem Bergseee gelesen, seither führen sie jedes Jahr einmal ins Berner Oberland, drei Stunden hin, drei Stunden zurück, alles an einem Tag. Denn "die Bergwelt ist herrlich, die Sorte der Seesaiblinge selten und die abschliessende Schlittenfahrt hinab ins Tal das Tüpfchen auf dem i". Die beiden werden erst im nächten Winter wiederkommen. Kurt Huber hingegen wird sein Glück in dieser Saison noch mehrmals versuchen, regelmässig, bis es Frühling wird. Denn im Eis gefischt wird am Oeschinensee bis Mitte März. In den letzten Märzwochen, dann, wenn die Sonne wieder kräftiger scheint, öfter auch einmal hemdsärmlig. Welch eine Vorstellung! Auf dem See sitzen und sich von der Sonne wärmen lassen. Wie weit entfernt wir davon doch sind!

(von Regula Tanner in NZZ vom 24. Februar 2005)


Weitere Informationen: Kandersteg Tourismus, Telefon 033 675 80 80 oder über Internet: www.kandersteg.ch und www.oeschinensee.ch . Tagespatente für Eisfischer sind zu beziehen im Restaurant Bärgstübli, Oeschinen, Telefon: 033 675 11 66


2 Comments:

Blogger Toby on Ice said...

Hmmmmm...
Schönnnn - brrr... bisg kalt..
Ja genau SO soll's beim Eisfischen sein.. vielen Dank für den Artikel.
Aber, obwohl ich den Oeschinensee nicht kenne, jedenfalls nicht, noch nicht vom Eisfischen her, scheinst mir das bischen Touristisch zu- und herzugehn.
Aber...
so in der eisigen Bise zu sitzen, warten, fischen, hoffen, bis dass ein schöner feiner, vielleicht zwei, gern auch drei Saiblig anbeissen...
Die Geduld könnt sich wohl lohnen.
Halb erfroren, am ganzen Leib zitternd, in der einen Hand die Angel, mit der andern... zu sitzen und warten, bis Du auspackst den heissen Tee, vedünnt, mit schottisch Malz. Hmmmm - schlürfff, darfst mir beim Lochbohren assistieren, beim Gedulden mitfiebern, beim aufwärmen mitheizen... nichts weniger als dies...
Ja, so könnt ich das mir Vorstellen, auf dem Oeschinensee zu verweilen, in einer Sternklaren eisigen Nacht, wo sich Füchse, Hasen, Schneehühner, Du und ich gute Nacht wünschen, starr, erschöpft, angefroren, voll Dankbarkeit für ein, zwie drei Saibling, ja?



übrigens - Saibling, dafür lass ich jede Seeeforelle links liegen, z.B. in Butter gebraten... einer der allerfeinsten, zartesten Fische die Mann/Frau geniessen kann, meinem bescheidenen Geschmack her. Yeaaaaaaaa

3:21 PM  
Blogger katharina said...

ui Toby,
ich glaube kaum, dass ich die Richtige wäre, um mit gemeinsam mit dir die Kälte zu geniessen... ICH HASSE KÄLTE! Aber den Tee mit Malz verdünnen, die Lachsbrote streichen und einen stärkenden Schoggikuchen zum Mitnehmen backen, dazu wäre ich bereit...

... Natürlich mit dem umschuldigen Hintergedanken, dass ich danach endlich zum Saiblingessen eingeladen werde... Ich, Rena und Claudya

Ich... Wir, freuen uns!!!

12:41 AM  

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