Thursday, May 19, 2005

Freispruch für notorische Schwarzfahrerin

Einzelrichter verlangt "taugliche Beweismittel"


Eine Frau, die vermutlich seit Jahren öffentliche Verkehrsmittel benützt, ohne dafür zu zahlen, ist am Bezirksgericht Zürich freigesprochen worden. Der Richter macht fehlende Beweise geltend und verlangt, in strittigen Fällen die Kontrolleure zu befragen.

Eine 31-jährige Frau ist auf dem Stadtrichteramt als Stammkundin bekannt, weil sie angeblich seit Jahren immer wieder schwarzfährt - oder "einen Wagen einer öffentlichen Transportunternehmung ohne gültigen Fahrausweis benützt", wie es im Transportgesetz heisst. Gegen die Vorwürfe beziehungsweise gegen die ausgesprochenen Ordnungsbussen erhebt die Frau regelmässig Einsprache, mit dem Argument, sie sei bei der jeweiligen Fahrausweiskontrolle gar nicht anwesend gewesen. Bei der Person, die jeweils ihre Identitätskarte vorweise, müsse es sich um jemand anders handeln. Allein im vergangenen Januar kamen rund ein Dutzend Einsprachen der mutmasslichen Schwarzfahrerin in einem Sammelverfahren vor einen Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich. Es handelte sich um Fälle der SBB, der VBZ sowie der Forchbahn. Überraschend sind nun sämtliche Einsprachen der Frau gutgeheissen worden, wie das "Tagblatt der Stadt Zürich" in seiner gestrigen Ausgabe berichtete. Der Einzelrichter begründet den Freispruch mit dem Fehlen von tauglichen Beweismitteln und schlägt vor, die betreffenden Fahrausweis-Kontrolleure zwecks Identifizierung der Verdächtigen persönlich zu befragen.


Wie viel Aufwand für eine Busse?

Bei der VBZ und den SBB zeigte man sich am Dienstag ebenso erstaunt über das Urteil wie beim Stadtrichteramt Zürich. Andreas Uhl, Mediensprecher bei der VBZ, sagte auf Anfrage, es sei bisher auch in strittigen Fällen nicht Usanz gewesen, die Kontrolleure für eine Zeugeneinvernahme aufzubieten. Basil Müller, der Chef des Stadtrichteramtes, stellt die Frage, wie viel Aufwand vertretbar sei, um eine einfache Übertretung hieb- und stichfest nachzuweisen. Bei allen andern Richtern habe das bisherige Vorgehen gereicht, er nehme aber zur Kenntnis, dass dies in diesem Fall offenbar anders sei. Eine Berufung gegen das Urteil, das bereits am 15. Februar gesprochen worden war, habe das Stadtrichteramt als zu aufwendig erachtet. Man habe sich vielmehr dafür entschieden, in einem allfälligen Wiederholungsfall wie verlangt vorzugehen, das heisst, die vom Einzelrichter gewünschte Befragung des Kontrolleurs vorzunehmen.

Auch die VBZ wollen die entsprechenden Lehren aus dem Freispruch ziehen. Sollte die als notorisch geltende Schwarzfahrerin ein nächstes Mal ohne gültigen Fahrausweis kontrolliert werden, will man ihre Identiät polizeilich feststellen lassen. So könne laut Mediensprecher Uhl entweder die Verdächtige überführt werden oder dann die Person, die seit Jahren die Identitätskarte missbräuchlich benützt.


Erzieherische Komponente des Richters

Auch der verantwortliche Einzelrichter Peter Budliger nahm am Dienstag Stellung zum Freispruch, der auf den ersten Blick überrascht. In seinem Urteil schreibt, er, dass sich die Bussenverfügung des Stadtrichteramtes hauptsächlich auf den Strafantrag des jeweiligen Transportunternehmens stützte, also auf die SBB, die VBZ oder die Forchbahn. "Dabei handelt es sich jedoch bloss um eine Behauptung des Anzeigeerstatters, nicht jedoch um ein Beweismittel", heisst es wörtlich im Urteil. Auf Anfrage ergänzte Einzelrichter Budliger, mit dem Freispruch habe er auch ein Zeichen setzen wollen. Bereits vor etwa einem Jahr habe er eine Einsprache derselben Frau und in derselben Angelegenheit an das Stadtrichteramt Zürich zur Ergänzung der Untersuchung zurückgewiesen. Konkret habe er damals verlangt, dass die Fahrausweis-Kontrolleure - die inzwischen Kundenberater heissen - nachträglich einvernommen werden, um die bestrittene Identität der angeschuldigten Frau zu bezeugen.

Dies sei damals vom Stadrichteramt antragsgemäss nachgeholt worden. Wie der Einzelrichter versichert, hätte er die Aussagen der Kontrolleure als Beweismittel akzeptiert. Weil die Beschuldigte aber nicht zur Hauptverhandlung erschien, galt dies als Rückzug ihrer Einsprache, und sie wurde auf diesem Weg rechtskräftig wegen Schwarzfahrens zu einer Busse von 200 Franken verurteilt. Als rund ein Jahr später erneut ein Dutzend gleich gelagerter Fälle beim selben Einzelrichter eingingen, vermisste er erneut die Zeugeneinvernahmen der Kontrolleure. Laut Aussage von Einzelrichter Budliger habe er in dieser Situation zwei Möglichkeiten gehabt: die rund ein Dutzend Einsprachen erneut zwecks Ergänzung der Untersuchung an das Stadtrichteramt zurückzuweisen - oder die Beschuldigte mangels Beweisen freizusprechen. Er leugne nicht, dass bei seinem Entscheid für die letztgenannte Variante auch eine erzieherische Komponente zuhanden des Stadtrichteramtes mitgespielt habe.

Und weil scheinbar einfache Sachverhalte oft kompliziert sein können, abschliessend die Ergänzung, dass es bei der obigen Schilderung um den strafrechtlichen Teil des Falles geht. Zivilrechtlich wurde die beschuldigte Frau von den Transportunternehmen bereits mehrfach wegen Schwarzfahrens rechtskräftig mit dem sogenannten Zuschlag von 80 Franken belangt. Die entsprechenen Rekurse waren vom Zürcher Stadtrat jeweils letztinstanzlich abgewiesen worden. Weil die Schwarzfahrerin aber als Sozialhilfebezügerin nicht zahlungsfähig ist, wurden nach deren Betreibung Schuldscheine ausgestellt.

(aus: NZZ vom 18. Mai 2005)

1 Comments:

Blogger SchwarzFahrer said...

YuhiiaAa

Sturrheit -
ein feines Mittelchen gegen
den Justicia


lange lebe das SchwarzFahren!!

very nice Articel Du da aus-
recherche host.
thx

jetzt könnt hab ich nen
Coffee nötig

BlackIsBeautyFull

6:59 AM  

Post a Comment

<< Home