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Thursday, September 22, 2005

Verräterischer Ton

Pervez Musharraf weiss, wie eine Frau schnell reich werden und nach Kanada auswandern kann: Sie lässt sich vergewaltigen. Mit diesen Worten antwortete der pakistanische Staatsschef auf die Kritik amerikanischer Journalisten an den Menschenrechten in seinem Land. Die schnöde Bemerkung zielte auf alle seine Bürgerinnen, aber im Besonderen auf Shazia Khalid. Die Ärztin aus Baluchistan war vor einigen Monaten von einem Armeeoffizier vergewaltigt worden. Statt sich, wie sich das gehört, das Leben zu nehmen, ging sie an die Öffentlichkeit.
Um sie mundtot zu machen, zwang sie die Regierung, das Land zusammen mit ihrem Mann zu verlassen. In London beantragte sie Asyl für Kanada, das ihr bisher verweigert worden ist. Die pakistanischen Behörden hatten ihren Adoptivsohn zurückbehalten. Sie würden keine Garantie für seine Sicherheit übernehmen, sollte sie ihre Geschichte an die grosse Glocke hängen, hiess es. Sie tat es trotzdem, in der Hoffnung, dass die so geschaffene internationale Öffentlichkeit ihre Familie beschützen würde.
Dies ist bisher auch geschehen. Zahlreiche Frauen- und Menschenrechtsgruppen im In- und Ausland haben an Musharraf geschrieben, endlich etwas zu unternehmen gegen die Tausende von Vergewaltigungen im Land, die meist in sozialer Ächtung, ehelicher Verstossung, Selbstmord oder im Gefängnis enden. Der Wutausbruch Musharafs lässt vermuten, dass die Kampagne nicht ohne Wirkung geblieben ist. Der Ton aber ist verräterisch.

aus: NZZ vom 22. September 2005