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Monday, February 28, 2005

Eisfischen am Oeschinensee



Alaska liegt so nah: Eisfischen im Berner Oberland

Wir glauben zu wissen, was kalt ist. Bis wir an jenem letzten Tag im Januar an den Oeschinensee fuhren. Es ist kurz nach halb zehn Uhr morgens, als wir uns in Decken hüllen, den Sessellift besteigen und mit dessen Hilfe die 482 Höhenmeter von Kandersteg nach Oeschinen erklimmen. Bitterkalt schlägt uns der Wind ins Gesicht, als wir aus der Bergstation treten, und wir beeilen uns, den zwanzigminütigen Fussmarsch zum See in Angriff zu nehmen. Unser Weg liegt noch im Schatten, die Bügel des Skilifts, dessen Trassee wir queren, sind leer. Tief verschneit stehen die Tannen, der Schnee knirscht unter unseren Füssen, die Luft ist klirrend kalt.


Inmitten stattlicher Berge

Dann liegt er uns plötzlich zu Füssen, still, zugefroren und mit Schnee bedeckt, der Oeschinensee. Dieser Bergsee, der vor vielen tausend Jahren durch einen Bergsturz entstanden ist und dessen unterirdischen Abflüsse heute für die Strom- und Trinkwasserversorgung Kanderstegs genutzt werden. Der Oeschinensee, in einer Senke gelegen, umgeben von stattlichen Bergen wie der Wilden Frau, dem Blüemlisalphorn, Oeschinenhorn, Fründenhorn und Doldenhorn.
Nun gehen wir auf Eis, einer Fläche von anderhalb Quadratkilometern, fünfzig bis sechzig Zentimeter dick. Hier und dort die Spur eines Hasens, eines Fuchses, eines Menschen. Mancherorts ein Kreis, in den Schnee gewischt, die Zeichen der Eisfischer. Unter dem Eis ist das Wasser bis zu fünfzig Meter tief, darin Fische: Regenbogenforellen, Seesaiblinge und kanadische Seeforellen. 12 000 Stück dieser Edelfische wurden im letzten Jahr ausgesetzt, mit Autos in die Bergwelt transportiert und in den See entlassen, eine Aufgabe der Fischzuchtanlage Kandersteg.


Sechs Edelfische und kein Stück mehr

Da sitzt er, der erste Eisfischer, die Fellmütze tief ins Gesicht gezogen, die Angel im Eisloch. Jetzt greift er zu einem Küchensieb, rührt damit im Eisloch, 15 cm Durchmesser, schöpft Eisklumpfen ab. "Heute ist es sehr kalt" sagt Roger Gerber, "wohl gegen minus 18 Grad." Eine gute Stunde sei er schon hier, angebissen habe noch nichts. Sechs Fische hat Gerber zugut, denn eine Vorschrift verlangt, "den Fischfang nach Behändigen des sechsten Edelfisches einzustellen". Das wird auch ab und zu kontrolliert. Dann werden die Fischer von Aufsehern geheissen, ihre Beute offenzulegen.
Dohlen kreisen über schroffen Felswänden, schreien in den blauen Winterhimmel. "Dort im hinteren Teil des Sees, heisst es vorsichtig sein", meint Roger Gerber, "dort gehen manchmal Lawinen nieder." Deshalb versucht er sein Glück lieber im vorderen Teil. Doch heute lässt das Glück auf sich warten. Die Fische sind offensichtlich anderswo. Roger Gerber, des Wartens müde, nimmt den Eisbohrer, stapft der Seemitte zu, schlägt den Bohrer ins Eis und beginnt an der grossen Kurbel zu drehen. Eisstaub wirbelt durch die Luft, es kracht und ächzt - eine harte Schicht, eine weichere, wieder eine harte. Gerber wischt sich den Schweiss von der Stirn: "Das ist die beste Methode, sich aufzuwärmen." Er klaubt Köder aus dem Rucksack, kleine, halbierte Fische aus dem Bielersee, den Fang eines anderen Tages, und befestigt sie an der Angel. Neues Loch, neues Glück. "Geduld ist gefragt", murmelt er, "aber diese Einsamkeit, dieses Einssein mit der Natur, ist ja schliesslich das Schöne am Fischen."


Mehr Fischer als Skifahrer

Nur an Wochenenden findet man sie nicht, die Einsamkeit. Da kommt es vor, dass der Bergsee von fünfzig bis sechzig Fischern bevölkert sei, "da hat es hier oben fast mehr Fischer als Skifahrer". Doch heute ist Montag, und nur eine Handvoll Fischer hat den Weg in die Eiszeit gefunden. Dazu zählt Kurt Huber. Er war einer der Ersten, die hier im Eis fischten, vor zehn Jahren schon, als diese Tätigkeit noch kaum bekannt war. Heute ist er pensioniert und fährt ein- bis zweimal die Woche zum Oeschinensee. Schon als Bub habe er gefischt, damals noch im Dorfbach, mit blossen Händen. Man habe jeweils gewettet, wer zuerst eine Forelle erwische. Natürlich habe man die Beute wieder freigelassen, keiner hätte den elterlichen Zorn auf sich ziehen wollen.
Doch jetzt hat einer angebissen, einer, den er nicht freilassen muss. Eine kandadische Seeforelle, ein gutes Stück über dem Schonmass von 22 Zentimetern. Kurt Huber hebt die Angel an, zieht vorsichtig an der Schnur. Die Forelle windet sich, bäumt ihren glänzenden Körper auf, hofft, dem drohenden Unheil zu entkommen. Doch das Küchensieb setzt dem Hoffen ein jähes Ende.


Futter für die Dohlen

Später, als neben Hubers Eisloch noch eine weitere kanadische Seeforelle liegt, klappt der Fischer das Sackmesser auf, greift nach dem einen Fisch, sticht in dessen Unterleib und zieht die Klinge bis zum Kopf. Dann legt er ihn aufs Eis, trennt ihm den Kopf ab, wirft ihn weg, Futter für die Dohlen. Anschliessend klaubt er das Gedärme heraus, prüft, ob der Magen unversehrt blieb, nickt, erleichtert fast, denn nur so wird er damit die nächsten Fische anlocken können. Dann nimmt er den Fang, wickelt ihn in Stoff, dann in Plastic und steckt ihn in den Rucksack.
Jetzt klettern ein paar Sonnenstrahlen über den Berggrat, lassen klamme Finger hoffen. Eine gute Stunde vermögen sie einen Teil des Sees zu bescheinen, etwas Wärme in die Welt des Eises zu senden, dann verschwinden sie wieder. So schnell wie sie gekommen sind. Kurt Huber schenkt sich einen Becher Tee ein, packt ein Sandwich aus, Lachs, selbst gefangen in Alaska.
Auch neben Gerbers Eisloch liegen nun drei kanadische Seeforellen, tiefgefroren. Er wickelt sie in Plastic und verstaut sie im Rucksack. Ausnehmen, putzen und filetieren wird er sie zu Haus. Die Angel passt auch in den Rucksack, das Gepäck muss handlich sein. Denn abends, wenn die Dämmerung nicht mehr weit ist und sich die Füchse schon bald holen, was die Fischer liegen liessen, packen die Männer ihre Sachen, wärmen sich im Berggasthaus auf, setzen sich auf den Schlitten und gleiten dem Tal zu.


Eisfischer aus nah und fern

Das eisige Vergnügen findet inzwischen auch bei Gästen aus dem Ausland Anklang: bei den beiden Deutschen zum Beispiel, die frühmorgens aus der Nähe von Freiburg im Breisgau angereist kamen und sich nun in Ufernähe niedergelassen haben. Einst hätten sie in einer deutschen Anglerzeitung vom Eisfischen an diesem Bergseee gelesen, seither führen sie jedes Jahr einmal ins Berner Oberland, drei Stunden hin, drei Stunden zurück, alles an einem Tag. Denn "die Bergwelt ist herrlich, die Sorte der Seesaiblinge selten und die abschliessende Schlittenfahrt hinab ins Tal das Tüpfchen auf dem i". Die beiden werden erst im nächten Winter wiederkommen. Kurt Huber hingegen wird sein Glück in dieser Saison noch mehrmals versuchen, regelmässig, bis es Frühling wird. Denn im Eis gefischt wird am Oeschinensee bis Mitte März. In den letzten Märzwochen, dann, wenn die Sonne wieder kräftiger scheint, öfter auch einmal hemdsärmlig. Welch eine Vorstellung! Auf dem See sitzen und sich von der Sonne wärmen lassen. Wie weit entfernt wir davon doch sind!

(von Regula Tanner in NZZ vom 24. Februar 2005)


Weitere Informationen: Kandersteg Tourismus, Telefon 033 675 80 80 oder über Internet: www.kandersteg.ch und www.oeschinensee.ch . Tagespatente für Eisfischer sind zu beziehen im Restaurant Bärgstübli, Oeschinen, Telefon: 033 675 11 66


Sunday, February 20, 2005

Querschnitt durch die Basler Schnitzelbänke 2005 (Ausschnitt)

Dr Papscht isch scho zitterig, aber stäärbe derf är nit
Wills denn jo e Waal fir dr Nochfolger git
Isch ain gwäält, kunnt e Räuchli uss em Petersdom
Aber Rauche isch syt neischtem verbotte in Room
(Schnäggedysse)


E baar Milliöönli sin nimm doo
Das Gäld isch halt irgendwie abhande koo
Mir froogen is, wieso der Behring ins Gfängnis goot?
Anderi sitze doch au no im - Swiss Verwaltigsroot!
(die Haiggle)


Dr Tutanchamun het vyyl Gäld noch Baasel gloggt
Het s Fluggi haim gnoo, ooni dass en epper frogt.
Är hoggt uff d Schnurre, sitzt mit Bänder gfesslet doot im Sarkophaag
Dasch en Ussländer, wie-n-en dr Blocher maag.
(Dootebainli)


Ych ha das Kunschtwärgg schnäll begriffe:
zmittst in Paris an Blocher schiffe!
Und trotzäm find ychs birrewaich -
dä isch doch immun - geege jeede Saich!
(d Filzluss)


S hänn unseri "Wätter - Maitli"sacht
im Färnseeh wirgglig Fortschritt gmacht.
Si dien sich nämmlig oohni Bschisse,
sich jetzt bim Staggele nimmi bisse!
(Wäschpi)


Sin Si allergisch uf d SVP
und nämme wäge däm Kamilletee?
Trinke Sie Rhywasser, das macht Sinn:
S het Anidepressiva drin.
Diagnose: Vo dr SVP git's sone Huffe,
do muesch dr ganzi Rhy ussuffe.
(Doggter FMH)


Wie me sym Maitli nur "Tsumani" saage kaa
Mir finde s zwoor nit schlimmer als "Angelika"
Sy kind noch Katastrooffe z dauffe isch bi uns kai Neiikait
Wil me z Baasel alle Glaine "Bush-i" sait.
(Dootebainli)


(aus: NZZ, Zürich, 19. Februar 2005)

Thursday, February 17, 2005

Seldwyla in der Pizzeria

DerBundesrat hat doch noch ein Herz. Ab Sommer darf der Schweizer wieder mit einer Pizza ins Bett,auch wenn es bereits zwölf geschlagen hat. Damit wird ein Entscheid des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) und der Rekurskommission des Volkswirtschaftsdepartements umgestossen. Die beiden Instanzen, deren Wirken eingentlich dem Wohl von Wirtschaft und Arbeitsplatzen dienen sollte,hatten nämlich befunden, dass Pizzakuriere werktags nur noch bis Mitternacht und am Wochenende bis ein Uhr ausschwärmen dürfen. Weitere (freiwillige) Nachtarbeit wurde ihnen untersagt, weil man in den Berner Amtsstuben der Auffassung war, dass nach der Geisterstunde kein Konsumbedürfnis nach Pizze mehr bestehe. Zudem hatten die Gesetzeswächter entdeckt, dass Pizze keine tägliche notwendige und unentbehrliche Ware sind. Im Konsumbedürfnis hatten sich die Stubengelehrten allerdings böse geirrt. Wegen der neuen Prohibitionspolitik brach bei den einschlägigen Pizzabäckern der Umsatz ein, und Dutzende von Pizzakuriere verloren ihren Job.
Der Aufschrei auf das Verbot nächtlicher Pizze ist bis ins Bundeshaus gedrungen. In seiner Antwort auf eine Anfrage des Zürcher FDP - Nationalrats Filippo Leutenegger räumt der Bundesrat nun ein, dass offensichtlich "Bedürfnisse im Bereich der Hauslieferungsdienste von Fertigspeisen existieren". Das heutige Recht trage diesen Bedürfnissen nicht genügend Rechnung, weshalb eine Änderung der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz vorbereitet werde. Damit sollen Hauslieferunsdienste als Gastbetriebe anerkannt werden,auch wenn die verkauften Speisen und Getränke nicht wie vorgeschrieben an Ort und Stelle, sondern beim Kunden zu Hause konsumiert werden. Damit wären die Pizzakuriere von der Pflicht, für Nacht- und Sonntagsarbeit eine Bewilligung einzuholen, befreit, und die Welt wäre eigentlich wieder in Ordnung. Pizzaboten dürfen also nach einem mehrmonatigen Time-out bald wieder ungebremst ausschwärmen, und Schlaflose dürfen noch in eine Pizza beissen, wenn im Bundeshaus schon wieder die Stempeluhr aktiviert wird. Gewisse Befürchtungen gibt es dennoch. Es könnte plötzlich das Bundesamt für Gesundheit Morgenluft wittern und eine neue Kampagne lancieren: gegen die gesundheitsschädliche Wirkung der Pizza im Allgemeinen und der nächtlichen im Speziellen.

(aus: NZZ, Zürich, 17. Februar 2005)

Wednesday, February 16, 2005

Fragebogen

I.
Sind Sie sicher, dass Sie die Erhaltung des Menschengeschlechts, wenn Sie und alle Ihre Bekannten nicht mehr sind, wirklich interessiert?

2.
Warum? Stichworte genügen.

3.
Wieviele Kinder von Ihnen sind nicht zur Welt gekommen durch Ihren Willen?

4.
Wem wären Sie lieber nicht begegnet?

5.
Wissen Sie sich einer Person gegenüber, die nicht davon zu wissen braucht, Ihrerseits im Unrecht und hassen Sie eher sich selbst oder die Person dafür?

6.
Möchten sie das absolute Gedächtnis?

7.
Wie heisst der Politiker, dessen Tod durch Krankheit, Verkehrsunfall usw. Sie mit Hoffnung erfüllen könnte? Oder halten Sie keinen für unersetzbar?

8.
Wen, der tot ist, möchten Sie wiedersehen?

9.
Wen hingegen nicht?

10.
Hätten Sie lieber einer andern Nation (Kultur) angehört und welcher?

11.
Wie alt möchten Sie werden?

12.
Wenn Sie Macht hätten zu befehlen, was Ihnen heute richtig scheint, würden Sie es befehlen gegen den Widerspruch der Mehrheit? Ja oder nein.

13.
Warum nicht, wenn es Ihnen richtig scheint?

14.
Hassen Sie leichter ein Kollektiv oder eine bestimmte Person und hassen Sie lieber allein oder in einem Kollektiv?

15.
Wann haben Sie aufgehört zu meinen, dass Sie klüger werden, oder meinen Sie's noch? Angabe des Alters.

16.
Überzeugt Sie Ihre Selbstkritik?

17.
Was, meinen Sie, nimmt man Ihnen übel und was nehmen Sie sich selber übel, und wenn es nicht dieselbe Sache ist: wofür bitten Sie eher um Verzeihung?

18.
Wenn Sie sich beiläufig verstellen, Sie wären nicht geboren worden: beunruhigt Sie diese Vorstellung?

19.
Wenn Sie an Verstorbene denken: wünschen Sie, dass der Verstorbene zu Ihnen spricht, oder möchten Sie lieber dem Verstorbenen noch etwas sagen?

20.
Lieben Sie jemand?

21.
Und woraus schliessen Sie das?

22.
Gesetzt den Fall, Sie haben nie einen Menschen umgebracht: wie erklären Sie es sich, dass es dazu nie gekommen ist?

23.
Was fehlt Ihnen zum Glück?

24.
Wofür sind Sie dankbar?

25.
Möchten Sie lieber gestorben sein oder noch eine Zeit leben als ein gesundes Tier? Und als welches?


(aus: "Max Frisch Tagebuch 1966 - 1971", Frankfurt am Main 1979)

Tuesday, February 15, 2005

Einschränkungen der Sprachenfreiheit

Territorialitätsprinzip

Der Schutz oder die Sicherstellung des individuellen, menschrechtlichen geschützten Sprachgebrauchs reibt sich oft am Interesse der Einwohner eines Gebietes, dass ihre Sprache territorial sichergestellt sei; Sprachen bedürfen in der Regel eines Raums, in dem ihr Gebrauch, ihre Weiterbildung und damit ihre Fortexistenz gewährleistet ist. Damit ist das sog. Territorialitätsprinzip angesprochen. Es dient einerseits der territorialen Sicherung der Landessprache, anderseits kann es sich auch als Beschränkung der Entfaltung des Sprachenreichtums auswirken.
Das Territorialitätsprinzip, das von der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre aus Art 116 aBV abgeleitet wird, erlaubt den Kantonen, Massnahmen zur Erhaltung von Homogenität und Ausdehnung der bestehenden Sprachgebiete zu treffen, insbesondere durch Festlegung von Amts- und Unterrichtssprachen. Art 70 Abs. 2 Satz 2 nBV versucht, das Territorialitätsprinzip auf neues Weise zu formulieren.
Die Respektierung tradierter Sprachgrenzen soll der Erhaltung des Sprachfriedens dienen und zugleich minoritäre Sprachen vor existenzgefährdender Durchmischung schützen. Das Territorialitätsprinzip verbietet es den Kantonen insbesondere, "Gruppen, die eine Landessprache sprechen, aber im Kanton eine Minderheit darstellen, zu unterdrücken und in ihrem Fortbestand zu gefährden". (...)

Grenzen des Territorialitätsprinzip

Nach heutigem Verständnis ist das Grundrecht der Sprachenfreiheit ein Kristallisationspunkt der komplexen Probleme, die sich aus der Vielsprachigkeit unseres Landes ergeben. Mit der Gegenüberstellung von Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip als beinahe gleichwertige Verfassungsgrundsätze wird man dem menschenrechtlichen Charakter der Sprachenfreiheit aber nicht gerecht.
Das Territorialitätsprinzip hat in der Praxis nicht die Eindeutigkeit, die ihm zuweilen zugemessen wird. Die Deutung des Prinzips als Schutz der jeweiligen Mehrheitssprache auf einem Gebiet ist darum wenig aussagekräftig, weil je nach Blickwinkel (z.B. auf Gemeinde-, Kantons- oder Bundesebene) eine andere Sprache diejenige der Majorität sein kann. In der Literatur wird vorgeschlagen, von der heute üblichen Gegenüberstellung von Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip abzurücken. Beschränkungen der Sprachenfreiheit als Individualrecht, z.B. im Interesse des Schutzes eines Sprachgebietes, müssen wie bei anderen Grundrechten die Kriterien des öffentlichen Interesses, der gesetzlichen Grundlage und der Verhältnismässigkeit erfüllen. Der Verweis auf das Territorialitätsprinzp kann diese Abwägung nicht ersetzen.

(aus: "Grundrechte in der Schweiz" von Jörg Paul Müller, Bern 1999)

Monday, February 14, 2005

le roi du Swaziland Mswati III achète dix nouvelles BMW pour ses épouses

Le roi du Swaziland, Mswati III, 36 ans, dont le petit pays est ravagé par le sida et la pauvreté, vient d'acheter dix nouvelles BMW pour ses épouses, a annoncé un journal hier. Il a déjà acquis il y a deux mois une limousine d'un demi-million de dollars.
Le dernier monarque absolu d'Afrique a dépensé cinq millions d'emalangenis (635 000 euros) pour acquérir 10 BMW série cinq destinées a ses épouses, indique le "Times" de Mbabane.
En décembre, il avait acheté une Daimler Chrysler Maybach de 390 000 euros, équipée notamment d'un poste de télévision et lecteur DVD, de 21 haut-parleurs, d'un réfrigérateur, d'un téléphone et d'un service de flûtes à champagne en argent.

DIX NOUVAUX PALAIS
Pour son anniversaire, en avril 2004, il avait acheté dies BMW série sept pour lui-même et quelques-unes de ses épouses. Cette année, la fête prévue pour son anniversaire, le 25 avril, va coûter six millions d'emalangenis (760 000 euros).
Le roi a aussi commandé la construction de dix nouveaux palais pour ses femmes, pour un coût de 100 millions d'emalangenis. Selon des estimations de l' ONU, près de 40 % de la population est affectée par le VIH dans ce petit royaume de 1,2 million d'habitans, enclavé entre l'Afrique de Sud et le Mozambique.
Plus de 65 % des habitants vivent avec moins d'un dollar par jour et quelque 200 000 dépendent de l'aide international pour survivre.

(aus "la Liberté" vom 14. Februar 2005)

Saturday, February 05, 2005

Mutmassungen über den Mut

Wer es wagt, ein derart in Ehren stehendes Wort wie den Mut gegen den Strich zu bürsten, der kriegt Ärger. Susan Sontag hat das erlebt, die berühmte amerikanische Essayistin: Sie brachte die Zivilcourage auf, gegen jene Politiker und Jorunalisten zu polemisieren, die die Zerstörung des World Trade Center am 11. September 2001 in New York als "feigen Angriff" auf die freie Welt bezeichnet hatten. Wer bereit sei zu sterben, um andere zu töten, schrieb sie, verdiene es, mutig genannt zu werden; feige seien eher jene amerikanischen Piloten, die aus unerreichbarer Höhe töteten, mit minimalem Risiko. Da war die Hölle los in Amerika.
Sprachlich wie psychologisch gesehen, ist der Mut eben ein unheimlicher Geselle: in vielen Bedeutungen schillernd, einst ganz ohne Bezug zur Tapferkeit und noch heute keineswegs auf diese eingeschränkt; wo aber doch, dann mit der Angst erstaunlich eng verwandt.
Ursprünglich hiess "Mut" Laune, Stimmung, Gemütsverfassung: "Iss, trink und habe guten Mut!"(Lukas 12, 19) - freue dich, das ist in der Tat gemeint, et te réjouis in der französischen Bibelversion, in der englischen and be merry; und guten Mutes können wir noch heute sein. Umgekehrt: "Ein betrübter Mut vertrocknet das Gebein" (Salomo 17, 22), "verdrossnen Mutes" liest man bei Goethe.
Sodann bedeutet Mut von alters her den Zorn, die Erbitterung: "Ich will meinen Mut an ihnen kühlen!"(2.Mose 15, 9). Und noch viel mehr: Wem wir "nur Mut!" zurufen, dem wünschen wir nicht Waghalsigkeit, sondern Zuversicht. Der Mutwille ist nicht der Vorsatz, tapfer zu sein, sondern die kalkulierte Boshaftigkeit; der Hochmut nicht ein hohes Mass an Bravour, sondern die Überheblichkeit; der Übermut keine Tollkühnheit, sondern der fröhliche Leichtsinn; der Unmut nicht das Gegenteil von Mut, ein Synonym für Angst also, sondern der Ärger, der Verdruss. ("Doch an dem Herzen nagte mir / der Unmut und die Streitbegier", reimte Schiller in seiner schaurigen Ballade vom Kampf mit dem Drachen.) Gleichmut schliesslich heisst ein leidenschaftsloser Gemütszustand, also fast gar nichts mehr.
Aus dieser wabernden Fülle der Bedeutung hat sich erst im 19. Jahrhundert der Mut im Sinne von Furchtlosigkeit, Schneid nach vorn geschoben. Wenn wir uns indessen auf diesen heute überwiegenden Wortsinn beschränken, dann stolpern wir aus dem Irrgarten der Sprache ohne Umweg in den der Psychologie. Und da zeigt sich, dass "Mut" nicht so sehr ein Sammelwort für noble Motive und Charaktereigenschaften ist (ja, die laufen manchmal mit) - sondern eher der Deckel auf einem Topf, in dem vor allem die Angst rumort.
Angst ist ja an sich nichts Negatives. Vor übermächtigen Gefahren davonzulaufen, kann lebensrettend sein, "nur Narren fürchten nichts", sagt Heine, und Mut im heute klassischen Sinn wird ohnehin nicht als das Fehlen von Angst definiert, sondern als die Fähigkeit, eine durchaus vorhandene Angst zu überwinden. Wie schaffen wir das? Meist in der Form, dass wir die verpönte Art der Angst durch eine unauffällige, sozial halbwegs gebilligte Spielart vertreiben.
Wenn Zehnjährigen eine heikle Turn- oder Kletterübung zugemutet wird, so fürchten sie für den Fall, dass sie sie verweigern, mit Recht, als Feigling, als Memme verspottet zu werden. Die Angst vor dem Hohngelächter der Mitschüler, die Hoffnung auf ihren Beifall ist ein Angrieb von ungeheuerer Macht. Turnlehrer, Pfadfinder, Rekrutenausbilder, Frontoffiziere nutzen sie. "Mut", sagt Schopenhauer, "ist eine blosse Unteroffizierstugend, in welcher uns sogar Tiere übertreffen, weshalb man sagt, 'Mutig wie ein Löwe' ." (was wiederum nicht stimmt, denn alle Raubtiere sind schlau genug, nur unterlegene Opfer anzugreifen.)
Mit der Angst vor der Schande und ihrem Gegenpol, der Gier nach Orden und Ehrungen, schliesslich mit der Angst vor Strafe konnte man Soldaten dazu bringen, gegen all ihre kreatürlichen Instinkte dem feindlichen Bunker entgegenzustürmen. Die Einsicht ist uralt, nur ziemlich selten das Thema von Leitartikel und Festansprachen.
"Ruhmessucht und Angst vor Schmach" spornten die Soldaten zur Tapferkeit an, schrieb Cäsar, und Friedrich der Grosse: "Der gemeine Soldat soll seine Offiziers mehr fürchten als alle Gefahren." Von einem Kriegsgericht wegen "Feigheit vor dem Feind" verurteilt zu werden, war die Angst, die in den Weltkriegen den Soldaten aller Armeen im Nacken sass: von den Freunden verachtet, von der Gesellschaft geächtez, mit Haft oder Erschiessung bedroht - das war der Wall aus Angst, den der Militärapparat hinter den Soldaten errichtete; so hoch, dass der mörderische Sturmangriff sich gleichsam in eine Flucht nach vorn verwandelte.
"Mutig" nennen wir einen Menschen also dann, wenn er derjenigen Angst nachgibt, die seine Umwelt als Mut einzustufen liebt. Es gibt schwerlich eine menschliche Eigenschaft, die danach riefe, mit dem Wort "Mut" belegt zu werden; mit dem Begriff "Angst" werden die Antriebe des Mutigen meist besser beschreiben. "Man hat seine eigene Wäsche, man wäscht sie mitunter", sagt Bert Brecht. "Man hat nicht seine eigenen Wörter, und man wäscht sie nie."

(von: Wolf Schneider; NZZ Folio, August 2004)

Friday, February 04, 2005

Kampf gegen Werbeverbote

Widerstand auch in den USA

Versuche zur Einschränkung von Werbemöglichkeiten sind im Trend. Nach dem Tabak und dem Alkohol sind auch Nahrungsmittel ins Visier der Konsumentenschützer und Gesundheitspolitiker geraten, insbesondere jene Nährstoffe, die das Übergewicht fördern können. In der Schweiz formierte sich deshalb vor längerem die Allianz gegen Werbeverbote ( www. sw-ps.ch/d/allianzwerbeverbote/index.php ). In den USA haben sich dieser Tage drei grosse Nahrungsmittelfirmen - Gerneral Mills, Kellogg und Kraft Foods - sowie Verbände der Werbewirtschaft zusammengetan, um gegen die Einschränkungen von Kinderwerbung zu kämpfen. Laut dem "Wall Street Jorunal" geben die drei Unternehmen jährlich etwa 380 Millionen Dollar für Kinderwerbung aus. Ihrer Meinung nach gibt es keine Korrelation zwischen der Werbung und der Zunahme von übergewichtigen Kindern. Die Verfechter von Werbeeinschränkungen sind aber auch aktiv. Das Marin Institute, das sich in den USA für Alkoholprävention einsetzt, hält auf seiner Website vorgefertigte E-Mails bereit, die an einen Bierbrauer verschickt werden sollen, damit er an der Super Bowl keine Werbung an Kinder richtet.

(aus: NZZ vom 4. Februar 2005)

Thursday, February 03, 2005

Männerängste

"Von einer Frau einen Korb zu kriegen, ist nicht schlimm. Es ist Folter. Warum kümmert sich Amnesty International nicht darum?" Seit mein Freund Oli kürzlich in einer Bar schnöde abgewiesen wurde, meidet er Bars weiträumig. Darum treffen wir uns in einem Café mit gemusterten Sesseln und alten Frauen.
"Oli", sagte ich, "gib's auf. Mit Pfefferminztee kann man sich nicht betrinken." Er hat gerade den dritten bestellt. Er habe sich in jener Bar eine zünftige Erkältung zugezogen, weil er, im Durchzug sitzend, über einen originellen Anmachspruch nachgedacht habe. Originell? Ich kann nur hoffen, dass er wenigstens keines dieser T-shirts mit lustigen Sprüchen trug. "Wer erzählt euch Männern eigentlich, dass wir etwas Originelles hören wollen?" - "Also doch lieber mit einem Kompliment anfangen?" - "Nein! Bloss keine Schleimspuren ziehen! Un wenn wir schon dabei sind: Es darf auch nichts sein, was unter die Gürtellinie zielt." Oli legt die Stirn in Falten. "Nicht originell, nicht schleimig, nicht vulgär. Da bleibt ja nur noch Ausdruckstanz."
Eine Weile schweigen wir, und ich stelle mir vor, wie barfüssige Männer in Batikhosen um die Frauen herumtanzen. "Ach, komm, es ist doch immer dasselbe", sagt Oli. "Man legt sich schöne Sätze zurecht, und dann betritt ein gelfrisierter Schrittanfasser-Macho die Bar, grölt die Frau mit "ich besorg's dir, bis du nicht mehr gehen kannst" an und schleppt sie ab."
Das scheint eine klassische Männerangst zu sein. Immer wieder zitieren meine Freunde dieses Beispiel, obschon keiner von ihnen es je selber erlebt hat. Das ist eines jener modernen Schauermärchen wie die Geschichte von dem Mann, dessen Innereien durch häufige Solariumbesuche gegart wurden. "Wenn eine Frau mit so einem Mann mitgeht", sagte ich, "dann nicht wegen des Spruchs, sondern weil er kriminell gut aussieht, was in den Erzählungen unterschlagen wird. Und so einer kann sagen, was er will, ja, er könnte einen röhrenden Brunftruf abgeben, und alle Frauen stünden gleichzeitig auf, weil sich ihr Denken augenblicklich in untere Regionen verlegen würden."
Doch nur eine meiner Freundinnen ist unlängst von solch einem Exemplar angesprochen worden: Ein Bild von einem Mann betritt die Bar, sieht sich um, steuert sie mit seinem Strahlelächeln an und sagt ihr etwas ins Ohr: Sich im Geiste schon mit ihm im Bett wälzend, springt sie auf, als sich das Missverständnis klärt: Er hatte sie für die Bardame gehalten und bei ihr einen Drink bestellt.

(von: Güzin Kar, in der Weltwoche vom 20. Januar 2005)

Wednesday, February 02, 2005

Die zwei Etappen der Aufklärung

2. Teil

Die Aufklärung B zu geben ist begreiflicherweise bedeutend schwieriger. Da wir mit der Konkurrenz der Strasse zu rechnen haben, dürfen wir leider mit ihr nicht so lange warten, als wir eigentlich wollten. Länger als bis zum Alter von zwölf Jahren sollte man sie nicht hinausschieben. Andererseits kann es sein, dass wir schon mit neun oder zehn Jahren dem Kinde sie zu geben gezwungen sind; denn es gilt unter allen Umständen, der Strasse zuvorzukommen! - Das Ideal besteht auch hier in der mündlichen Aufklärung, und zwar des Sohnes durch den Vater, der Tochter durch die Mutter. Bestehen aber Hemmungen, das zu tun, so soll ohne Verzug die Aufklärung durch das gedruckte Wort geschehen. Für Knaben kommt in Betracht: "Das Wunder der Menschengeburt", Verlag W. Loeptingen in Meiringen; für Mädchen : "Wie Hannchen Mutter ward", Verlag Orell Füsli, Zürich; beide Schriften von mir verfasst; Fr. 1.20. Wichtig ist, dass Knaben rechtzeitig auf das Erscheinen der Pollutionen und die Mädchen auf das Eintreten der Menstruation aufmerksam gemacht werden. - Die erwähnten Schriften können Eltern, welche die Aufklärung B mündlich geben möchten, als Wegleitung dienen.
Die Schamhaftigkeit ist vom Schöpfer dem Menschen im Kampf um die Reinheit als mächtiger Schutz verliehen. Die moderne Tendenz, sich von ihr möglichst frei zu machen, da sie sexuell entspannend wirke, ist völlig falsch und erweist sich als ein grosser Unsegen. Gewiss, sie darf nicht in Prüderie ausarten, so dass zum Beispiel ein Mädchen im fremden Hause nicht einmal nach der Türe des "AB" zu fragen wagt! Aber noch viel weniger dürfen wir in die Schutzwehr der Schamhaftigkeit mutwillig Breschen schlagen. Übrigens ist dem Menschen die Anlage zur Schamhaftigkeit angeboren. Das geht aus der Tatsache hervor, dass die Erziehung zur Schamhaftigkeit bei den Kindern mit überraschender Mühelosigkeit sich durchführen lässt!
Bei kleinen Kindern hüte man sich auf dem Gebiete dieser Erziehung vor jeglichem Übereifer, damit ja nicht ihre Aufmerksamkeit ungewollt auf die sexuelle Sphäre gelenkt werde. Auch bei grösseren Kindern sollen unsere im Interesse der sexuellen Erziehung erlassenen Anordnungen möglichst den Charakter der Unauffälligkeit haben, ohne dass jeden Augenblick die Worte "unanstädig", "unschicklich", "g'schämig" zu hören sind. So zum Beispiel, wenn die Mutter anordnet, dass die grösseren Buben und Mädchen nicht zu gleicher Zeit in Küche oder Badezimmer sich waschen; oder wenn sie eines Tages den Geschwistern, die bisher im gleichen Zimmer schliefen, nach Geschlechtern geordnete Schlafräume anweist (spätestens mit neun oder zehn Jahren). - Die heranwachsenden Mädchen sollen dran gewöhnt werden, beim Sitzen ungeziemende Haltung zu vermeiden un in ihrer Kleidertracht auf die Gebote guter Sitte Rücksicht zu nehmen.

(aus: "Mutterfreuden, Mutterpflichten" von Dr. Med. Hans Hoppeler; Zürich, in der Nachkriegszeit)

Tuesday, February 01, 2005

Bedrohte Teddybären

Mit der Zungenspitze zwischen den Zähnen wird der Kran sorgfältig gesteuert. Schwierig ist die Auswahl zwischen Bären und Löwen. Im letzten Moment entgleitet das behehrte Stofftier dem Greifarm normalerweise, dann verlangt der Automat neues Geld, und das Spiel, das von englischen Küstenstädten nicht wegzudenken ist, beginnt von neuem.

Doch jetzt droht dem natürlichen Habitat des englischen Teddybären Gefahr. Ausgerechnet im Spielgesetz, das sich dieser Tage durchs Unterhaus windet, will die Labourregierung grosse Bären verbieten. Riesige Spielkasinos nach dem Muster von Las Vegas? Kein Problem. Ausgewachsene Teddys für Kinder? Ausgeschlossen. Das Kulturministerium dementierte selbstredend, dass das Gesetz Vorschriften über Bärengrösse enthalte, aber wie anders soll man die Regelung verstehen, dass die in kleinen Spielsalons zu gewinnenden Prämien nicht mehr wie bisher acht, sondern neu höchstens fünf Pfund wert sein dürfen? Grosse Bären sind bekanntlich immer hungrig.

Die unbegrenzte Lust der "neuen" Labourpartei, die Alltagsvergnügen ihrer grossen und kleinen Bürger zu reglementieren, macht offenbar auch vor ausgestopften Bären nicht Halt und verrät ihre methodischen Ursprünge. Nicht genug damit, dass die Gesellschaft, wie ein Metallbaukasten verstanden wird, an dem man herumwerkeln muss - die Partei glaubt sogar treuherzig, dass die Drehung eines Schräubchens tatsächlich den erwünschten Effekt habe. Und diesmal hatte die strenge Heilsarmee den Schutz der Jugend vor krankhafter Spielsucht gefordert. Daher die kleineren Bären.

(aus: NZZ vom 1. Feb. 2005)